P. Usseglio

Speer, Amden

Sonntagmittag, den 21.06.2020

Die letzten Tage war das Wetter eher bescheiden und die Wanderausflüge mussten auch aufgrund eines Hexenschusses meinerseits eine Pause einlegen. Ja ich weiss, wandern kann man auch bei «schlechtem» Wetter, aber der Rücken sollte schon schmerzfrei sein. Doch heute sieht das Wetter genau richtig aus, kein Regen, ein paar wenige Wolken und angenehme Temperaturen. Und auch mein Rücken ist mehr oder weniger wieder in Ordnung. Also keine Ausreden mehr.

Da ich es mittlerweile gewohnt bin, erst am Mittag oder Nachmittag los zu gehen, löst auch die Uhrzeit keine Panik mehr aus. Meine Garmin Uhr zeigt 14.00 Uhr an. Ohne konkreten Plan oder Destination packe ich meine Ausrüstung und steige ins Auto. So, hier wäre ich nun. Sitz da und frage mich, was ich eigentlich genau vorhabe. Der innere Schweinehund versucht mich auf die Couch zu locken und flüstert «Dude, es ist schon zu spät, geh chillen. An den See oder so.». Doch mein innerer Hiker weigert sich und blafft ein «ICH WILL IN DIE BERGE!», entgegen.

Ich entscheide mich für das Glarnerland. Es ist nah und hat viele geniale Berge, die ich noch entdecken möchte. Auf der Autobahn erschleicht mich kurz ein unangenehmes Gefühl, doch ich habe meinen Entschluss schon gefasst und lasse mich nicht aufhalten. Und nun ist auch das Ziel des heutigen Ausflugs klar. Links sehe ich den «Federispitz», auf welchem ich aber bereits war. Doch hinter Ihm steht der höchste Nagelfluh-Berg Europas, der Speer! (Ok, das hört sich jetzt sehr dramatisch an, er ist eigentlich nur 1’951 m.ü.M. Anyway, er steht schon lange auf meiner Wunschliste.)

Ich parke mein Auto in der Tiefgarage in Amden, unterhalb der Seilbahn und laufe zum Sessellift. Yup, ihr lest richtig, ich fahre mit der Sesselbahn (schöner Vorteil nach dem Lockdown) bis zur Gondelstation Niederschlag. Bisher macht der Rücken gut mit! (Haha Spass bei Seite, die fahrt mit der Bahn ist echt angenehm;). Nach einer kurzen Fahrt komme ich oben an und sehe auch gleich den Wegweiser Richtung Speer. Der Mattstock wäre natürlich auch eine schöne Alternative, der steht nämlich genau vor mir und wirkt ziemlich eindrücklich. Da der Wegweiser jedoch «nur 1,5h» Wanderzeit zur Spitze anzeigt, bleibe ich bei meinem Vorhaben den Speer zu besteigen. Schliesslich will ich wandern und die 3,5h bis zum Speer sprechen mich mehr an. (Gibt es ein Wort für Wanderer-Ego? Wego?)

Jetzt gehts auf Kies- und Asphaltwegen einmal um den Mattstock ,um den dahinterliegenden Speer zu erklimmen. Nach ca. 1h wird die Wanderung wunderschön und führt weg vom Kiesweg und über schöne Wanderwege am Fusse des Mattstocks. Happy und dankbar wieder in den Bergen zu sein (und ohne grosse Schmerzen im Rücken), geht es immer weiter hoch, bis ich bei der «Alp Oberchäseren» angelangt bin und die Spitze vom Speer gut sichtbar ist. Die letzten Höhenmeter gehen nochmals in die Oberschenkel und auch der Rücken meldet sich ein wenig zu Wort aber alles noch aushaltbar.

Puuh, geschafft! Oben angekommen bin ich einmal mehr von der unglaublichen Aussicht überwältigt und das Zusammenspiel von Wolken und Sonne lassen mein Fotografenherz höher schlagen – WOW!

Nach einer kurzen Pause auf dem Gipfel geht es den Grat entlang um den perfekten Standort für die Fotos zu finden. Ich vergesse die Zeit und bin vollkommen im Moment. Hin und her laufe ich auf dem Grat herum, bis ich die perfekte Stimmung einfange und mich entschliesse zurückzulaufen. Es ist bereits 19.00 Uhr und auch wenn die Atmosphäre magisch ist, ich möchte vor Einbruch der Dunkelheit zurück. Ich beginne runterzulaufen und bin von der Abendstimmung überwältigt, einfach unbeschreiblich schön.

Unbeschreiblich sind aber auch meine Knieschmerzen, welche sich nach nur ca. 100m auf einmal bemerkbar machen. «Das kann doch nicht sein» sage ich zu mir und gehe weiter. Die Schmerzen werden immer intensiver und stärker und nach wenigen weiteren Metern kann ich mein rechtes Knie weder belasten noch biegen. Rien ne vas plus. Aus und vorbei. GEIL!

Okay was nun? Bis nach Amden sind es bestimmt noch über 2,5 Stunden und bei meinem Humpel-Tempo könnte es die ganze Nacht gehen. Ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung, wie in aller Welt ich es zu meinem Auto schaffen soll. Mit schmerzverzerrtem Gesicht komme ich irgendwie bei der Alphütte «Alp Oberchäseren» an und sehe Leute beim Abendessen auf der Terrasse. Ich frage nach, welches der schnellere Weg nach Amden ist (es gibt 2 Wege, links oder rechts um den Mattstock), denn ich hätte mich am Knie verletzt. Die Antwort war ermutigend: «Beides beschissen mit einem verletztem Knie!» (To be honest: Humor, der in dem Moment nicht so ganz zu mir durchdringt).

Auf einmal kommt die «Cheffin» der Alp raus und fragt mich ob ich es eilig habe? Etwas genervt denke ich mir «sehe ich so aus, als ob ich es eilig hätte?» . Natürlich bleibe ich höflich und antworte Nein. Überaus freundlich bietet mir die Alp-Cheffin an, mich nach Amden zu fahren. Die Erleichterung fühlt sich an, als ob mir jemand tausend Kilo von den Schultern nimmt. Doch Moment mal, auf dem Weg hierher habe ich keine Strasse gesehen die zu dieser Alp führt. Mein nachdenkliches Gesicht fällt auch der Frau auf und sie fragt mich, ob ich denn die «Bluefire» kenne? Ich verstehe nur Bahnhof und das sieht man mir wohl auch gerade an, denn es folgt bereits die nächste Frage. «Kennst du den Europapark?»

Jetzt macht es Klick. Oh Gott, sie meint die Achterbahn. «Ja klar kenne ich die», höre ich mich antworten. «Gut», erwidert die Frau lachend. «Ungefähr so, wird die Talfahrt werden.»

Die nette Cheffin, die sich als Jeanette vorstellt, holt ihren Quad und gemeinsam mit ihrer Tochter machen wir uns zu dritt auf dem Teil bequem und fahren Richtung Amden. Was soll ich sagen, Achterbahnfahrt beschreibt es tatsächlich sehr gut. Nach 40-minütiger Fahrt sind wir gut durchgeschüttelt auf Ihrem Hof in Amden angelangt und wechseln (Gott sei Dank) in ihr Auto. Damit fährt sie mich bis zur Tiefgarage, wo mein Wagen auf mich wartet. An dieser Stelle nochmals tausend Dank an Jeanette für die grosse Hilfe! Wer ebenfalls diese ausserordentliche Gastfreundschaft erfahren möchte, kann dies gerne auf ihrer Alp tun: https://www.alp-oberchaeseren.ch/

Ich steige müde ins Auto und fahre mit gemischten Gefühlen nach Hause. Genervt, weil mein Knie wieder schmerzt und dankbar, dass man egal wo man ist, immer auf hilfsbereite und nette Menschen trifft. Bis zum nächsten mal Glarnerland!

Ps: Falls Ihr mal einen «Hexenschuss» haben solltet (oder sonstige Rückenbeschwerden), nimmt euch richtig Zeit ehe ihr wieder wandern geht. Lasst den Rücken komplett heilen, denn durch die Schonhaltung können die Knie was abbekommen;)

PPs: Überstrapaziertes/angerissenes Band am rechten Knie war das Resultat vom heutigen Tag.

Tipp 1: Falls Ihr mal einen «Hexenschuss» haben solltet! Lasst den Rücken komplett heilen, denn durch die Schonhaltung können die Knie was abbekommen;)

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